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06.05.2022, Hessen

Gleichwertige technische Spezifikationen müssen zugelassen werden

Welche Leistung in einem Vergabeverfahren beschafft werden soll, wird in der Leistungsbeschreibung festgehalten. Bei der technischen Spezifikation nutzen Auftraggeber oft die Möglichkeit, auf europäische (z. B. EN-), internationale (z. B. ISO-) oder nationale (z. B. DIN-) Normen zu verweisen und sich als Nachweis der Erfüllung dieser Normen Zertifizierungen oder Zulassungen vorlegen zu lassen. Das OLG Frankfurt stellte nun in einer aktuellen Entscheidung klar, dass zum Nachweis einer technischen Spezifikation nicht ausschließlich Zulassungen durch nationale Behörden abgefragt werden dürfen, sondern immer auch die Möglichkeit vorhanden sein muss, die Gleichwertigkeit anderweitiger Zulassungen nachzuweisen. Hierfür muss der Zusatz „oder gleichwertig“ gemäß § 7a Abs. 2 VOB/A-EU (bzw. § 31 Abs. 2 VgV) in die Vergabeunterlagen aufgenommen werden.

Was war geschehen?

Der Auftraggeber schrieb für ein Bauvorhaben auf der A7 das Aufstellen und Vorhalten von transportablen Schutzeinrichtungen (tSE) über ein offenes Verfahren EU-weit aus. Dauer und Umfang wurden in der Leistungsbeschreibung genannt, jedoch keine Prüfanforderungen an diese Schutzeinrichtungen. Unter „vorzulegende Unterlagen“ wurde zum Nachweis der Geeignetheit der tSE die Vorlage eines Begutachtungsschreibens der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) gefordert. Dieses Begutachtungsschreiben sollte als Nachweis dienen, dass das Produkt der (nationalen, weil über die DIN EN 1317 hinausgehende) Norm „TL-Transportable Schutzeinrichtungen 97“ entspricht. Andere Nachweise wurden nicht zugelassen. Auch ein Hinweis auf die Gleichwertigkeit anderer Zulassungs- bzw. Begutachtungsformen fand sich nicht.

Ein Bieter wollte anderweitig geprüfte und damit aus seiner Sicht gleichwertige Systeme anbieten, für die jedoch keine BASt-Begutachtung vorlag. Mittels einer Bieterfrage bat er um Bestätigung, dass ein Gleichwertigkeitsnachweis erbracht werden kann, da der Zusatz „oder gleichwertig“ bei der Anforderung eines Begutachtungsschreibens der BASt fehlt. Der Auftraggeber lehnte das ab. Dagegen wehrte sich der Bieter mit Einleiten eines Nachprüfungsverfahrens.

Die Vergabekammer lehnte den Nachprüfungsantrag mit der Begründung ab, dass es auf § 7a VOB/A-EU nicht ankomme, da der Bieter kein (EU-)ausländisches Unternehmen sei und auch kein ausländisches Produkt anbieten wolle. Das Gleichwertigkeitserfordernis beziehe sich nur auf Produkte aus anderen Mitgliedstaaten. Für nationale Produkte sei hingegen die Vorgabe einer nationalen Prüfung und Zulassung zulässig.

Die Entscheidung des OLGs Frankfurt

Das OLG Frankfurt war anderer Meinung. Bei der Vorgabe des Begutachtungsschreibens der BASt handele es sich um eine nationale technische Spezifikation nach VOB/A-EU, so dass die Vorgabe der Spezifikation durch den Zusatz „oder gleichwertig“ ergänzt werden muss. Auf diese Weise kann ein Bieter ein Angebot einreichen, das zwar nicht die geforderte nationale Zulassung aufweist, aber durch einen gleichwertigen Nachweis dennoch die technischen Anforderungen inhaltlich erfüllt.

Laut dem OLG Frankfurt geht es bei dem Gleichwertigkeitszusatz gemäß § 7a VOB/A-EU nicht darum, (EU-)ausländischen Bietern den Markt zu eröffnen, indem nur diese eine gleichwertige Prüfung vorlegen dürften, während inländische Anbieter auf die konkret geforderte nationale Prüfung beschränkt wären. Die Vorschrift soll den Bieter davor schützen, dass sein Angebot nur aus formellen Gründen nicht berücksichtigt wird, obwohl er (nachgewiesenermaßen) in der Sache das anbietet, was der Auftraggeber nachfragt. Der fehlende Gleichwertigkeitszusatz bzw. die fehlende Zulassung des Nachweises der Gleichwertigkeit ist daher vergaberechtswidrig.

Praxishinweis

Im konkreten Fall ist eine BASt-Begutachtung der tSE und eine Eintragung in die von der BASt geführten Liste zum Nachweis der Einhaltung der Norm „TL-transportable Schutzeinrichtungen 97“ nicht erforderlich. Es muss lediglich nachgewiesen werden, dass die angebotene tSE die Anforderungen der Norm materiell erfüllt. Der bisherigen Praxis in der Straßenbauverwaltung dürfte hiermit also ein Ende gesetzt sein.

Die Entscheidung des OLGs Frankfurt ist jedoch über die Verkehrstechnik hinaus von grundsätzlicher Bedeutung, zumal die für Liefer- und Dienstleistungen geltende Regelung in § 31 Abs. 2 VgV mit dem hier behandelten § 7a Abs. 2 VOB/A-EU inhaltlich identisch ist.

In der Vergabepraxis werden in vielen Ausschreibungen oft (noch) nationale Zertifizierungen oder Zulassungen gefordert. Sofern Sie sich als Auftraggeber also zur Erfüllung einer technischen Spezifikation auf bestimmte nationale Normen wie DIN, RAL-Farbe etc. oder einen höheren nationalen Standard stützen möchten und hierüber einen Erfüllungsnachweis verlangen, müssen Sie immer den Zusatz „oder gleichwertig“ in die Vergabeunterlagen aufnehmen. Nur hierdurch ermöglichen Sie es dem Bieter – wie es die Rechtsprechung des OLG Frankfurt fordert –, ein Angebot einreichen zu können, welches zwar nicht der in Bezug genommenen Norm/technischen Zulassung entspricht, gleichwohl aber Ihre inhaltlichen Anforderungen an das Produkt einhält. Ein Angebotsausschluss ist in einem solchen Fall wegen § 7a Abs. 3 VOB/A-EU (bzw. § 32 VgV) nicht möglich.

Prüfen Sie in diesem Zusammenhang auch stets die Möglichkeit, ob anstelle einer rein nationalen Norm auf eine europäische oder internationale Norm (EN, ISO, etc.) zurückgegriffen werden kann. Die Rangfolge der Normen in § 7a Abs. 2 Nr. 1 VOB/A-EU bzw. § 31 Abs. 2 Nr. 2 VgV muss zwingend eingehalten werden – auch hierauf haben die Bieter einen Anspruch. Nutzen Sie im Liefer- und Dienstleistungsbereich auch die Möglichkeit, mit Gütezeichen oder Bescheinigungen von akkreditierten Konformitätsbewertungsstellen zu arbeiten.

QUELLE

  • OLG Frankfurt. Beschluss vom 12.11.2020, 11 Verg 13/20
  • BEITEN BURKHARDT berät als eine der führenden Kanzleien im Bereich der vergaberechtlichen Beratung öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Durchführung und Realisierung von Beschaffungsmaßnahmen. Ein Fokus liegt hier auf komplexen Großvorhaben im Bereich der Informations- und Hochtechnologie. Daneben berät die Kanzlei anbietende Unternehmen bei der Teilnahme an Vergabeverfahren.

Christopher Theis ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht bei BEITEN BURKHARDT in Frankfurt. Er berät schwerpunktmäßig öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung EU-weiter und nationaler Vergabeverfahren. Herr Theis begleitet seine Mandanten dabei auch intensiv bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung und vertritt deren Interessen vor den Nachprüfungsinstanzen. BEITEN BURKHARDT berät als eine der führenden Kanzleien im Bereich der vergaberechtlichen Beratung öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Durchführung und Realisierung von Beschaffungsmaßnahmen. Ein Fokus liegt hier auf komplexen Großvorhaben im Bereich der Informations- und Hochtechnologie. Daneben berät die Kanzlei anbietende Unternehmen bei der Teilnahme an Vergabeverfahren.

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