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31.07.2023

VK Bund: Aufnahme von Preisanpassungsklauseln im Einzelfall prüfen

Der Krieg in der Ukraine führte in vielen Branchen zu steigenden Preisen. Besonders stark betroffen war die Baubranche, die bei der Beschaffung von Roh- und Baustoffen mit teilweise stark steigenden Preisen konfrontiert wurde. Verschiedene Bundes- und Landesministerien haben öffentlichen Auftraggebern deshalb die Aufnahme von Preisgleitklauseln in Vergabeunterlagen durch Erlass vorgegeben. Auftraggebern, die nicht unmittelbar Adressat dieser Erlasse waren, etwa Kommunen, wurde eine entsprechende Anwendung der Erlasse teilweise empfohlen. Trotzdem waren öffentliche Auftraggeber und Bieter teilweise unterschiedlicher Auffassung über die Frage, ob die Möglichkeit einer Preisanpassung in die Vergabeunterlagen aufgenommen werden soll. Auch die Vergabekammer des Bundes beschäftigte sich deshalb mit der Frage, ob dies zwingend in allen Vergabeverfahren vorgesehen sein muss.

Was war geschehen?

Der öffentliche Auftraggeber hatte 2022 eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Klebebändern europaweit ausgeschrieben. Aufgeteilt war der Gesamtauftrag in verschiedene Lose. Die Rahmenvereinbarung sollte für eine Laufzeit von drei Jahren abgeschlossen werden und jeweils zum Ablauf eines Kalenderjahres, erstmals Ende 2023, unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können.

Gegen die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens wendete sich die spätere Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag. Sie war der Ansicht, ihr werde durch die Forderung des Auftraggebers, Festpreise über die gesamte Vertragslaufzeit anzubieten, ein unzumutbares Kalkulationsrisiko aufgebürdet. Ohne Aufnahme einer Preisanpassungsklausel sei es ihr nicht möglich, ein kaufmännisch kalkuliertes Angebot abzugeben, weil die Rohstoff-, Energie- und Transportpreise aufgrund des Ukraine-Krieges und dessen Folgen extrem gestiegen seien. Die Antragstellerin begründete ihre Auffassung unter anderem mit dem Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.03.2022 und der darin enthaltenen Aufforderung an Auftraggeber, insbesondere für Erdölprodukte Preisgleitklauseln zu vereinbarten. Ihre Klebebänder seien erdölbasiert.

Die Entscheidung der VK Bund

Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als teilweise unzulässig zurück. Die zulässigen Teile waren nach Auffassung der Vergabekammer unbegründet. Die Aufnahme einer Preisgleitklausel kann nur dann vorgeschrieben werden, wenn für die Bieter eine vernünftige kaufmännische Kalkulation ohne Preisgleitklausel unzumutbar ist. Das sei hier nicht der Fall, weil die Antragstellerin Preissteigerungen schon bei der Kalkulation ihres Angebotspreises berücksichtigen könne. Auch müsse die Antragstellerin ihre Angebotspreise gerade nicht für die gesamte Vertragslaufzeit kalkulieren, weil der ausgeschriebene Vertrag kalenderjährlich eine Kündigungsmöglichkeit ohne weitere Voraussetzungen vorsehe. Zuletzt begründete die Vergabekammer ihre Auffassung mit § 313 BGB („Störung der Geschäftsgrundlage“). Die Antragstellerin könne Preisanpassungen auch ohne Preisanpassungsklausel auf der Grundlage von § 313 BGB verlangen, wenn sich die wirtschaftliche Situation dramatisch verschlechtern solle. Eine Preisanpassungsklausel sei unter diesen Voraussetzungen nicht erforderlich.

Praxistipp

Spannend ist die Entscheidung der Vergabekammer mit Blick auf die in Frage stehende Pflicht zur Aufnahme einer Preisanpassungsmöglichkeit. Anders als bei Bauaufträgen (§ 7 Abs. 1 Nr.3 VOB/A) dürfen Bietern bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen grundsätzlich auch ungewöhnliche Wagnisse aufgebürdet werden. Unzulässig wird die Übertragung von Risiken auf Bieter erst dann, wenn eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist. Unzumutbar ist eine Kalkulation aber erst, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß hinausgehen, das Bietern typischerweise tragen müssen. Ob das der Fall ist, ist durch Abwägung der Interessen von Bietern und Auftraggeber im jeweiligen Einzelfall zu bewerten.

Die Vergabekammer des Bundes hat sich in ihrer Entscheidung vom 19.10.2022 bei der Beantwortung dieser Frage anders positioniert als andere Vergabekammern. Die VK Westfalen (12.07.2022, VK 3 – 24/22), die VK Thüringen (03.06.2022, 4002 – 779 – 2022 – E – 008 – J) und die VK Lüneburg (01.02.2023, VgK-27/2022) haben zuletzt entgegengesetzt entschieden und die Aufnahme von Preisanpassungsklauseln angeordnet. Das zeigt, dass die Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen derzeit nicht verallgemeinerungsfähig sind und öffentliche Auftraggeber im jeweiligen Einzelfall entscheiden müssen, ob den Bietern eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation zumutbar ist. Das gilt unabhängig von der Tatsache, dass die auch von der Antragstellerin im Verfahren vor der VK Bund herangezogenen Erlasse verschiedener Bundesministerien zur Aufnahme von Preisgleitklauseln mittlerweile wegen der allgemeinen Preisstabilisierung ausgelaufen sind. Letztlich müssen Preisanpassungsklauseln auch für öffentliche Auftraggeber nicht immer negativ sein. Das gilt gerade in Zeiten sinkender Preise.

Dr. Joachim Ott, LL.M. ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte in Stuttgart. OPPENLÄNDER Rechtsanwälte berät öffentliche Auftraggeber und Bieter zu allen Fragen des Vergaberechts und Kartellrechts. Joachim Ott führt regelmäßig Verfahren vor den Vergabekammern des Bundes und der Länder, den Oberlandesgerichten und den Gerichten der Europäischen Union. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu vergaberechtlichen Themen.

QUELLE

VK Bund, Beschluss vom 19.10.2022, Az.: VK 1 – 85/22

AUTOR

Dr. Joachim Ott

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