29.05.2012, Europa

Wer im staatlichen Auftrag handelt, muss ausschreiben

Im Amtsblatt der Europäischen Union (EU) umfasst die Richtlinie 2004/18 EG genau 127 Seiten. Sie ist eine der Grundlagen für die öffentliche Hand, wenn es um europaweite Ausschreibungen und Vergaben geht. Genauer: Es geht darin um die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer– und Dienstleistungsaufträge. Die eigentliche Richtlinie ist schon nach 43 Seiten zu Ende, die restlichen 84 Seiten sind Anhänge.

EINE DEFINITION STEHT IM GESETZ GEGEN WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN

Dort lohnt ein Blick besonders, wenn es um die Frage geht, wer im Sinne der Richtlinie, aber auch der deutschen Gesetzgebung, eigentlich ein öffentlicher Auftraggeber ist. In diesem Anhang sind viele Einzelbeispiele aufgeführt, welche Behörden, Verwaltungen und Institutionen dazu zählen. Der Paragraf 98 im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unternimmt hingegen den Versuch, den Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“ theoretisch zu definieren – abgeleitet aus eben jener EU-Richtlinie 2004/18 EG.

Wer öffentlicher Auftraggeber werden muss, ist in sehr vielen Fällen eindeutig geregelt: Es sind die Gebietskörperschaften der verschiedenen Ebenen – also Bund, Länder, Regierungsbezirke, Landkreise, Kommunen sowie alle rechtlich unselbstständigen Eigenbetriebe dieser Körperschaften, ebenso Zweckverbände, wie sie beispielsweise für die Müllentsorgung interkommunal gebildet werden. Ausschreibungspflicht haben auch private Baukonzerne, wenn sie ein Projekt mithilfe staatlicher Förderprogramme umsetzen. Und die Vergabe von Baukonzessionen ist meist schon im Vertrag an die Vorgabe geknüpft, die notwendigen Aufträge an Subunternehmen nach dem Vergaberecht auszuschreiben.

Schwierigkeiten gibt es dennoch bei der Beantwortung der Frage nach einer möglichen Ausschreibungspflicht von öffentlichen Auftraggebern. Sie ergeben sich vor allem aus Paragraf 98, Abschnitt 2 GWB. Dort geht es um juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, die ebenfalls ausschreibungspflichtig sind, wenn sie eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art erfüllen (siehe Kasten) und eine besondere Staatsnähe aufweisen. Diese Staatsnähe drückt sich entweder durch eine überwiegende Finanzierung oder in der Aufsicht durch die öffentliche Hand oder eines Eigenbetriebs aus.

Im Allgemeininteresse handelnd und staatsnah – diese Beschreibung trifft auf eine ganze Menge von Einrichtungen zu. Hochschulen, Stiftungen, Anstalten des öffentlichen Rechts, Sozialversicherungsträger, Versorgungsanstalten, Flughafenbetreiber, Messegesellschaften, der Betrieb des S-Bahn-Verkehrs – die Liste von Institutionen in diesem Bereich ließe sich noch lange fortsetzen. Für sie alle stellt sich die Frage einer möglichen Ausschreibungspflicht bei Vergaben. Nicht zuletzt deshalb, weil es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, Institutionen formal zu strukturieren.

VERSTOSS GEGEN AUSSCHREIBUNGSPFLICHT LANDET NICHT VOR VERGABEKAMMER

„Man muss sich das im Einzelfall anschauen“, so Klaus Knörle, Leiter der Auftragsberatungsstelle Baden-Württemberg bei der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart. Es könne gut sein, dass viele Einrichtungen, auf die eine Ausschreibungspflicht zutreffe, nichts davon wüssten, „oder es nicht wissen wollen“, fügt er hinzu. Auch seien in der Vergangenheit Tendenzen zu beobachten gewesen, entsprechende Konstruktionen zu wählen, um letztlich nicht als öffentlicher Auftraggeber zu gelten. „Da gibt es einen vergleichsweise großen Graubereich“.

Sowohl öffentliche Einrichtungen als auch Bieter stellen Anfragen bei Knörle zu diesem Thema. Problematisch ist die Frage, wer letztlich als öffentlicher Auftraggeber gilt, auch für potenzielle Bieter bei Ausschreibungen. „Man kann als Bieter kaum eine Prüfung vornehmen, dazu fehlen oft die Informationen“, weiß der Vergaberechts-Experte. Eine Nachprüfung vor der Vergabekammer oder eine Beschwerde vor dem Oberlandesgericht fällt aus, wenn es gar nicht zu einer Ausschreibung kommt.

Eine Auflistung aller öffentlichen Auftraggeber im Rahmen des GWB-Paragrafen 98 macht für Knörle wenig Sinn. „Sie könnten dort gar nicht alle Fälle abarbeiten“, macht er deutlich. Er verweist stattdessen auf die Anlage in der EU-Richtlinie zur Koordinierung von Vergaben. Sie zeigt die große Bandbreite von öffentlichen Auftraggebern auf – für jeden der EU-Mitgliedsstaaten.

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