18.10.2013, Deutschland

Gericht untersagt Ausschluss von Bietern

Es ist ein Urteil mit Sprengkraft. Eines, das in manchen Rathäusern für Stirnrunzeln sorgen könnte – und in anderen für Erleichterung. Am 17. Januar 2013 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entschieden, dass ein Auftraggeber nicht verlangen kann, „nur sozialversicherungspflichtiges Personal“ einzusetzen, wenn er Reinigungsleistungen ausschreibt (Aktenzeichen.: VII – Verg 35/12). Jedenfalls dann, wenn er sich dafür keine triftige Begründung überlegt.

KAMPF GEGEN DIE ARBEITSLOSIGKEIT IST EIN ZULÄSSIGES ZUSCHLAGSKRITERIUM

Die Forderung sei unverhältnismäßig, erklärte Roswitha Brackmann, Richterin am OLG Düsseldorf, am 27. September bei den Speyerer Vergaberechtstagen an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (siehe Kasten). Soziale Aspekte seien nur dann verhältnismäßig, wenn sie einem legitimen Ziel dienten und erforderlich seien.

So sei zum Beispiel die Forderung, einen bestimmten Anteil an Langzeitarbeitslosen einzusetzen, zulässig, wie dies der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg bereits in seinem Beentjes-Urteil vom 20. September 1988 angedeutet hatte (Rechtssache C 31/87). Auch der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sei ein zulässiges Zuschlagskriterium, wie die Luxemburger Richter am 26. September 2000 im Fall Nord-Pas de Calais urteilten (Rechtssache C-5225/98). Eine allgemeine Forderung, wonach in einer Branche, in der viele geringfügig Beschäftigte arbeiten, „nur sozialversicherungspflichtiges Personal“ einzusetzen sei, sei dies jedoch nicht.

Die Anforderungen an die Bieter würden unvertretbar, sagte Brackmann und ergänzte: „Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Bieter aus dem öffentlichen Auftragswesen verabschiedet haben.“

Dies gelte auch für andere Bedingungen, die früher unter der Bezeichnung „vergabefremde Aspekte“ zusammengefasst wurden und inzwischen Sekundärziele heißen. Wie etwa, dass Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit nicht zulässig seien. Häufig würden Bieter Bestätigungen abgeben, ohne die Herkunft nachvollziehen zu können. Dabei stelle sich das OLG nicht taub: „Die Begründung ist zu dokumentieren. Wir erlauben das Nachschieben von Gründen.“

Es sei der öffentlichen Hand grundsätzlich freigestellt zu entscheiden, was sie beschaffen will. „Wenn der Auftraggeber grüne oder goldene Wasserhähne haben will, darf er das haben“, sagte Brackmann. Das Problem seien die Nebenbedingungen, die mit dem Beschaffungsziel nichts zu tun haben.

Ausdrücklich verwies die Richterin jedoch darauf, dass das Urteil eine Ausschreibung betreffe, die vor Inkrafttreten des Tariftreuegesetzes von Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wurde. Derzeit haben bereits 13 Länder ein Tariftreuegesetz, darunter Baden-Württemberg. Drei Länder, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt, haben es bislang nicht.

EUGH HATTE NIEDERSÄCHSISCHES TARIFTREUEGESETZ FÜR UNGÜLTIG ERKLÄRT

Diese Entwicklung war lange nicht absehbar. Am 3. April 2008 hatte der EuGH das damalige niedersächsische Landesvergabegesetz für ungültig erklärt (Rechtssache C-346/06). Es verstoße gegen die Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsfreiheit. Niedersachsen hätte die Einhaltung des örtlichen Tarifs nur dann vorschreiben dürfen, wenn dieser durch eine staatliche Allgemeinverbindlicherklärung für alle Beschäftigten als Mindestlohn gegolten hätte.

Das EuGH-Urteil führte jedoch nicht dazu, dass sich die Länder von der Idee einer Tariftreueregelung verabschiedeten. Stattdessen wurden einige alte, möglicherweise nicht EU-konforme Gesetze aufgehoben und neue Gesetze verabschiedet, die Tariftreue vorschreiben, ohne mit der EU-Rechtsprechung in Konflikt zu kommen.

In Speyer wurde deutlich, dass viele Experten solche Vorgaben mit Skepsis betrachten. Ein Teilnehmer gab zu bedenken, dass die Forderung nach einem bestimmten Frauenanteil impliziere, dass Frauen besser arbeiten könnten als Männer. Brackmann wies darauf hin, dass Sekundärziele politisch erwünscht seien und die Stellschraube dabei die Verhältnismäßigkeit. Jan Ziekow, Direktor des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung und Veranstalter der Speyerer Vergaberechtstage, bedankte sich bei der Referentin: „Weichgespültes gibt es jede Menge.“ Brackmann habe das Thema auf den Punkt gebracht.

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