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06.05.2022, Nordrhein-Westfalen

Folgen der Corona-Pandemie als Gründe für Aufhebung?

In der Corona-Pandemie haben sich Dinge rasant geändert. Was gestern noch sicher erschien, konnte von einem auf dem anderen Tag nicht mehr stattfinden. Das gilt nicht nur für den Alltag, sondern auch für Beschaffungen der öffentlichen Hand. Das OLG Düsseldorf hatte in dieser Konstellation darüber zu entscheiden, ob die Auswirkungen der Corona-Pandemie zur Aufhebung einer Ausschreibung zu einem Zeitpunkt berechtigten, in dem der  Zuschlag schon angekündigt und die Pandemieentwicklung offensichtlich war. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20) kam dabei zu dem Ergebnis, dass eine Aufhebung der Ausschreibung wegen wesentlicher Änderungen der Grundlagen der Vergabe aufgrund der Corona-Pandemie möglich sein kann.

Was war geschehen?

In dem vom OLG Düsseldorf zu entscheidenden Fall hatte ein öffentlicher Auftraggeber mit EU-Bekanntmachung im Januar 2020 den Abschluss eines Rahmenvertrages über die Durchführung einer Maßnahme zur Heranführung und Begleitung einer Umschulung im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Leistungsbeschaffung erfolgte dabei durch den öffentlichen Auftraggeber für das Jobcenter als Bedarfsträger.

Die ausgeschriebene Maßnahme war darauf ausgerichtet, eine betriebliche Umschulung und einen Berufseinstieg auch ohne Berufsabschluss zu ermöglichen. Die Leistungsbeschreibung hat dabei u.a. eine bestimmte Wochenstundenzahl und eine anschließende Umschulung mit täglicher Anwesenheitspflicht in entsprechenden Unterrichts-, Sozial- und Besprechungsräumen vorgesehen. Die spätere Antragstellung hatte sich mit einem Angebot an der Ausschreibung beteiligt; ihr wurde im März 2020 die Zuschlagserteilung in Aussicht gestellt.

Noch bevor der Zuschlag erteilt wurde, hat die Entwicklung der Pandemie bei der Vergabestelle zu Überlegungen geführt. Für die Vergabestelle war zweifelhaft, ob die Maßnahme unter Pandemie-Bedingungen überhaupt sinnvoll durchgeführt werden könnte (Stichwort: Präsenzmaßnahmen). Diese Bedenken teilte der öffentliche Auftraggeber dem Bedarfsträger mit, der um die Aufhebung der Ausschreibung bat. Am Folgetag wurde die Ausschreibung sodann aufgehoben. Die Aufhebungsentscheidung wurde den Bietern mit Schreiben vom 23.03.2021 mitgeteilt und begründet. In der Begründung teilte der öffentliche Auftraggeber mit, dass das Corona-Virus ein nicht vorhersehbares Ereignis sei, das die Bedingungen am Arbeitsmarkt erheblich verändert habe; ob und wann die ausgeschriebene Leistung benötigt werde, sei nicht planbar. Dagegen wendete sich die Antragstellerin nach erfolgloser Rüge mit einem Vergabenachprüfungsantrag bei der VK Bund. Dabei sollte die „Aufhebung der Aufhebung“ erreicht werden. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen (VK 1-30/20). Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin zum OLG Düsseldorf. Die Antragstellerin macht dabei insbesondere geltend, dass die Auswirkungen des Corona-Virus zum Zeitpunkt der angekündigten Zuschlagserteilung nicht mehr unvorhersehbar gewesen seien und es deshalb an den Voraussetzungen für eine Aufhebung fehle.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf

Ohne Erfolg! Nach Auffassung des OLG Düsseldorf hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf die Aufhebung der Aufhebung und die Fortführung des Vergabeverfahrens. „Erst recht“ stehe ihr kein Anspruch auf den Zuschlag zu. Ein Zwang zum Vertragsschluss (Kontrahierungszwang) gebe es nicht und zwar unabhängig davon, ob ein gesetzlich festgeschriebener Aufhebungsgrund vorliege oder nicht. Es liege auch kein Ausnahmefall vor, bei dem ausnahmsweise die Fortsetzung des Vergabeverfahrens verlangt werden könne. Denn die Aufhebung sei weder willkürlich noch diskriminierend.

Die Aufhebung sei vielmehr rechtmäßig erfolgt und zwar nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV. Nach der Regelung kann ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufgehoben werden, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hat. Eine solche wesentliche Änderung hat nach Auffassung der Düsseldorfer Richter durch die pandemische Verbreitung des neuartigen Corona-Virus stattgefunden. Wesentlich seien Änderungen, wenn die weitere Durchführung des Verfahrens auf der Grundlage der bisherigen Vergabebedingungen unter den veränderten Umständen nicht mehr möglich oder nicht mehr zumutbar ist. Die wesentliche Änderung habe sich durch die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben. In der Corona-Pandemie könne für auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare Teilnehmende der ausgeschriebenen Kurse aller Voraussicht nach keine Umschulungsmöglichkeit mit Einstellung erreicht werden. Unternehmen in wirtschaftlich schwieriger Lage würden die Teilnehmenden vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie aller Voraussicht nach nicht einstellen. Ein Festhalten an einem (nutzlosen) Beschaffungsbedarf sei der Vergabestelle nicht zumutbar. Die Pandemie und ihre Auswirkungen waren für die Vergabestelle dabei im maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens (Januar 2021) nicht vorhersehbar. Bei der Aufhebung handele es sich darüber hinaus und trotz der Rücksprache mit dem Bedarfsträger auch um eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers.

Praxishinweise

Die Entscheidung enthält für die Praxis mehrere relevante Aspekte. Einerseits wird klargestellt, dass und unter welchen Voraussetzungen die Auswirkungen der Corona-Pandemie zu einer (rechtmäßigen) Aufhebung der Ausschreibung wegen wesentlicher Änderungen der Grundlage des Vergabeverfahrens (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV) führen. Für die Dokumentation der Aufhebung wird andererseits noch einmal die Rechtsprechung zur Heilung von Dokumentationsmängeln ins Gedächtnis gerufen: Das OLG Düsseldorf hat eine Konkretisierung des Aufhebungsgrundes bzw. der Begründung erst im Laufe des Vergabenachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer zugelassen. Auf die Auswirkungen der Pandemie hatte die Vergabestelle erst im Vergabenachprüfungsverfahren abgestellt. Ein etwaiger Dokumentationsmangel wurde damit im Vergabenachprüfungsverfahren durch den „nachgeschobenen Vortrag“ geheilt.

QUELLE

Dr. Corina Jürschik, LL.M. ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht bei OPPENLÄNDER Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe tätig. Sie unterstützt Bieter und Bewerber in Vergabeverfahren bei der Wahrung ihrer Rechte und berät öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren Gestaltung von Vergabeverfahren.

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